Ende der Borchert-Kommission zeigt Handlungsbedarf auf

Weil das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung keinen Handlungswillen bei der Bundesregierung zu erkennen vermag, hat es beschlossen, seine Arbeit einzustellen. Das Experten-Team unter Vorsitz des ehemaligen Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Jochen Borchert (CDU), spricht der Ampel-Koalition den notwendigen Tatendrang ab, in Deutschland Grundlagen für mehr Tierwohl in der Landwirtschaft schaffen zu wollen.

Gut ausgebildete Tierhalterinnen und Tierhalter in Deutschland können, wollen und sorgen für Tierwohl, wenn die Leistung angemessen honoriert und damit das Überleben der Betriebe gesichert wird. Und daran hakt es: Denn für den Umbau des Sektors braucht es Fördermittel. Aber die Ampel-Koalition konnte sich nicht zu einer Förderung durchringen. Der Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands, Hubertus Beringmeier, gibt sich enttäuscht, obgleich er den Schritt der Kommission nachvollziehen kann, wie er sagt. „Insbesondere die Frage der Finanzierung ist bis heute ungeklärt – besonders der Koalitionspartner FDP muss sich hier bewegen.“

Im Februar 2020 hatte das Kompetenznetzwerk Empfehlungen zum Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung vorgelegt und damit der agrarpolitischen Diskussion bedeutende Impulse gegeben. Die Empfehlungen bauen auf den Kompetenzen der Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland auf. Bemerkenswert ist von Beginn an gewesen, dass das Konzept von Akteuren aus der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft, von Umweltverbänden, von Institutionen, von Verwaltung sowie aus der Wissenschaft getragen wurde. Auch wir von Tönnies waren auf vielfältige Weise eingebunden und haben die Gremienarbeit zur Findung einer Lösung nach Kräften unterstützt. Nicht ohne Grund erfuhr das Konzept im agrarpolitischen Raum viel Zuspruch.

Die Empfehlungen verlangen tierhaltenden Betrieben in Deutschland tiefgreifende Veränderungen ab, strukturell wie finanziell. Kern des Konzepts ist daher die Einführung langfristiger staatlicher Prämien bei schrittweiser Erhöhung des Tierwohls. „Ohne diese Instrumente wird sich das Ziel, den gesamten Sektor schrittweise auf ein hohes und deutlich über EU-Standard hinausgehendes Niveau zu bringen, nicht erreichen lassen“, bekräftigt das Netzwerk in einer Stellungnahme. „Ebenfalls erinnern wir an die Empfehlung, Aus- und Weiterbildung, Beratung und Forschung zu fördern sowie ein nationales Tierwohlmonitoring zu etablieren.“

Alle Experten waren und sind sich einig: In einem gemeinsamen europäischen Markt werden die Mehrleistungen für Tierwohl unter den bestehenden Bedingungen nicht von der erforderlichen Nachfrage getragen. Günstige tierische Nahrungsmittel würden Produkte, die mit hohen Tierwohlkosten belegt sind, verdrängen. Deshalb, so die Empfehlungen, brauche es die Förderung für Stallumbau und die Mehrkosten für ein Tierwohlmanagement durch öffentliche Mittel, um den von der Landwirtschaft gesellschaftlich geforderten Umbau schaffen zu können.

Man erkenne an, dass in den vergangenen Monaten erste Schritte in Bezug auf Änderungen im Bau- und Umweltrecht sowie die Kennzeichnung unternommen wurden, außerdem die Einleitung eines Prozesses zur Einführung einer Tierwohlprämie erfolgt ist. „Allerdings schafft die gegenwärtige Ausgestaltung für den Großteil der Landwirtschaft keine hinreichende Grundlage für einen Umbau“, üben Fachleute Kritik. Die politischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Empfehlungen seien somit weder in der vorherigen noch in den ersten zwei Jahren der laufenden Legislaturperiode geschaffen worden. Auch der Entwurf des Bundeshaushalts 2024 von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) lasse den notwendigen Durchbruch nicht erkennen. Deshalb ist jetzt ein Schlussstrich gezogen worden.

Die Politik muss auch wollen, sagen die Vertreter des Gremiums. In ihren Empfehlungen von 2020 schätzte die Kommission die Kosten für den kompletten Umbau der Tierhaltung in Deutschland auf drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr, beispielsweise für Um- und Neubau von Ställen. Die Berater hatten vorgeschlagen, dass den Erzeugern 80 bis 90 Prozent der entstehenden Mehrkosten ausgeglichen werden sollen. Die Bundesregierung kündigte indes an, in einem ersten Schritt lediglich eine Milliarde in Maßnahmen für mehr Tierwohl geben zu wollen, aufgeteilt auf vier Jahre.

„Eine Überraschung ist das Ende des Kompetenznetzwerks nicht gewesen“, sagt Thomas Dosch, Leiter des Tönnies-Hauptstadtbüros. Und dennoch erachtet er diesen Schritt als ein bedauerliches Signal. Die Borchert-Kommission habe hohes Ansehen genossen, weil sie es geschafft habe, Interessensgruppen zu vereinen, die sich lange Zeit im öffentlichen Streit gegenübergestanden hatten. „Wenn eine Institution das Gewicht und die Glaubwürdigkeit mitbringt, die es braucht, um die Transformation zu gestalten, dann dieses Kompetenznetzwerk“, ist Dosch überzeugt. „Ich hätte mir gewünscht, dass das Gremium weiter seinen Einfluss nutzt, damit die Regierung schnellstmöglich einen gangbaren Weg zum Umbau der Nutztierhaltung aufzeigt.“ Stillstand indes setze die Landwirtschaft noch weiter unter Druck.

Was nun? Es ist die Aufgabe der Marktakteure in der gesamten Kette, heimischen tierischen Produkten in Deutschland wieder den Stellenwert zu geben, den sie in einer nachhaltigen, kreislauforientierten Landwirtschaft verdienen. Die Nutztierhaltung ist elementarer Bestandteil derartiger Kreisläufe. „Dazu gilt es“, so Dosch, „weiter gemeinsam mit dem Berufstand für gangbare gesetzliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu kämpfen. Landwirtschaft ohne Tierhaltung wird es nicht geben.“